Kurzbeschreibung Naturtherapie

Kurzcharakteristik (theoretischer Ansatz)

 

Das Erlebensorientierte therapeutische Arbeiten in und mit der Natur (Naturtherapie) ist eine spezielle, existenzialpsychologisch fundierte Therapieform, in der das Erlebensfeld Natur für therapeutische Zwecke eingesetzt wird. Die Naturtherapie ist entwicklungs- und beziehungsorientiert und einem humanistisch-personalen Menschenbild verpflichtet. Sie ist nicht störungs-, sondern personzentriert.

‚Therapie’  im hier verwendeten Sinne meint in der ursprünglichen Bedeutung des griechischen therapeia ein 'Begleiten', d.h. eine personale und dialogische Beziehung zu einem anderen Menschen, die einen hilfreichen Kontext für Selbsterkenntnis und Veränderung, für Entwicklung und Gesundung zur Verfügung stellt.

Der theoretische Rahmen, aus dem die Naturtherapie ihre Grundorientierung entnimmt, ist die Existenzialpsychologie. Aus ihr entnehmen wir die Anthropologie, die psychologischen Basiskonstrukte und die dialogische therapeutische Grundausrichtung, insbesondere die Bedeutung der personalen Begegnung für die Therapie. Den Prozess der therapeutischen Veränderung konzipieren wir als Entwicklungsprozess, weshalb die Naturtherapie nicht pathologie-, sondern entwicklungsorientiert ist.

 

 

Das therapeutische Naturerleben

 

Der Erlebensraum ‚Natur’ hat sich seit jeher als besonders geeignet für therapeutische Zwecke erwiesen. Für den überzivilisierten Menschen unserer Zeit ist er geradezu prädestiniert, um Erfahrungen zu ermöglichen, die seiner Entfremdung entgegenwirken und ihn wieder rückbinden in der Schicht des Lebens, dem ersten, sinnstiftenden Grund unseres Existierens. Dabei kommen wir wieder in Kontakt mit unserer eigenen Instinktnatur, mit archetypischen Erfahrungsstrukturen, primitiven (lat. primitivus, der Erste seiner Art) und animalischen Impulsen (lat. anima, Seele) aus den Tiefenschichten unseres Selbst.

Die Natur ist ganz eingelassen in ihr Sein. Deshalb spricht sie auch uns Menschen an in unserem Sein (nicht in unserem Funktionieren), weckt unser Empfinden dafür, wer wir ursprünglich sind. Menschen sind seit jeher in die freie Natur gegangen, um für sich selbst einen solchen Freiraum unmittelbaren, nicht-konzeptionellen Erlebens und Schauens zu finden. In diesem Modus einfachen, ursprünglichen Daseins kommen wir wieder in Berührung mit unserer eigenen Natur. Hier erden wir uns, erholen uns und schöpfen neue Kraft.

Der Erlebensraum Natur kann uns in ganz besonderer Weise auch dabei unterstützen, Unmittelbarkeit und Offenheit wiederzugewinnen. Im Staunen über all das, was uns draußen in der natürlichen Welt umgibt, kann die gewohnte Selbstentfremdung durch unentwegtes Nach-denken und Vor-stellen in den Hintergrund treten und unmittelbares und gegenwärtiges Da-sein kann sich wieder ereignen.

Das Lebendige tritt uns in der Natur ganz direkt und unverhüllt gegenüber – das Lebendige um uns herum und das Lebendige, das wir selber sind. Innere, seelische Erlebensräume öffnen sich dabei oft auf ungeahnte Weise - die Natur berührt uns auch von innen her. Das kann einen tiefen Prozess der Öffnung für uns selbst und für das Leben einleiten, der in der Lage ist, auch unser alltägliches (Er)Leben grundlegend zu verändern.

 

 

Fortführung des Naturerlebens in der therapeutischen Beziehung bzw. therapeutischen Gemeinschaft

 

Wir bringen das Selbsterleben in der Natur in den Kontext  einer dialogischen therapeutischen Beziehung bzw in die Gemeinschaft einer naturtherapeutischen Gruppe, genauer: wir führen es dort fort. Hier wird die Grundlage dafür gelegt, dass es verändernde und heilsame Wirkungen entfalten kann.

 Der Ansatz der Naturtherapie ist beziehungsorientiert. Die grundlegende Sichtweise ist: (Psycho)Therapie ist seinem Wesen nach ein sozialer, ein zwischenmenschlicher Prozess, eine ‚einbindende Kultur’, in der Menschen sich entwickeln und verändern können. Neue Erfahrungen des Selbst in der Natur-draußen bewirken nur dann eine Veränderung im therapeutischen Sinn, wenn sie in ein entwicklungsförderndes Feld zwischenmenschlicher Beziehungen gelangen und sich mit emotional bedeutsamen Beziehungserfahrungen verbinden. Die Arbeit in der naturtherapeutischen Gruppe ist deshalb für uns von entscheidender Bedeutung.

 

 

Spezielle Instrumente der Naturtherapie

 

Folgende naturtherapeutische Instrumente können im Gruppen- oder Einzelsetting zum Einsatz kommen:

 

  • Übungen in und mit der Natur (z.B. Übungen des sinnenhaften Gewahrseins, des Erdens, der Achtsamkeit)
  • Freie Naturerfahrungen in den verschiedensten Formen
  • Rituale des Übergangs und der Heilung (z.B. Vision Quest)
  • Übergangsrituell ausgerichtete Erfahrungsangebote in der Natur
  • Die Arbeit mit dem Kreis des Selbst
  • Natur-Werkstatt  (kreativer Ausdruck)
  • Spiel-Raum Natur (Naturtherapie mit Kindern)
  • Meditative Naturpraxen (Natur-Exercitium, Natur als Übung)

 

 

Allgemeine Ziele und Einsatzbereiche der Naturtherapie

 

Die Wiedergewinnung unseres Selbst-Naturseins ist für den denaturierten Menschen unserer Zeit eine Grundbedingung zur Wiedererlangung seines vollen Menschseins. Sie ist ein bedeutsamer Faktor für seine seelische Gesundheit, vor allem im Hinblick auf die Überwindung von Entfremdung, Bodenlosigkeit, Narzissmus und Fragmentierung.

Das Selbst-Natursein des Menschen manifestiert sich vor allem in der organismischen Fähigkeit zur Selbstregulation und Selbstheilung, in einer  leibstarken, instinktsicheren und weltoffenen Verfassung, die gut verwurzelt ist im natürlichen Lebensprozess. Wir erfahren: Die Dinge können wieder in Ordnung kommen - unser Ich muss nicht alles steuern, es gibt etwas, das aus sich selbst wirkt und unser Ich steuert.

 

Dies entspricht einem grundlegenden Bedürfnis unserer Zeit, in der die Entfremdung des Menschen vom natürlichen Kern des Lebensprozesses nicht nur zu einer Überforderung, sondern zu einer tiefen Verunsicherung in seinem gesamten Lebens- und Daseinsgefühl geführt hat. Der denaturierte und entfremdete Zustand des Menschen manifestiert sich vor allem im Verlust seiner leiblichen Mitte, seiner Empfindungs- und Spürfähigkeit, in der Zunahme chronischer Erschöpfungszustände und in Daseins- und Beziehungsstörungen verschiedenster Art.

Erst wenn wir wieder unsere Einbindung und Teilhabe am natürlichen Lebensprozess empfinden können, haben wir den inneren Boden zur Verfügung, um die Welt und uns selbst im Einklang mit dem Leben gestaltend in die Hand nehmen zu können. 

 

Einsatz- und Anwendungsbereiche  der Naturtherapie sind insbesondere:

-Selbststudium und Selbstgestaltung  im Sinne von personalem Wachstum, Selbstkongruenz, Selbstwirksamkeit und Potenzialentfaltung,

-Entwicklungs- und Übergangsprozesse bei phasenspezifischen Lebensübergängen oder krisenhaften Lebensereignissen,

-Förderung von psychischer Gesundheit und Resilienz des Selbst (Widerstandsfähigkeit) im präventiven und rehabilitativen Bereich (z.B. bei chronischen Erschöpfungszuständen),

-Unterstützung von Entwicklungsprozessen bei Kindern und Jugendlichen,

-Übung des Leibes, insbes. der Erdung, des sinnenhaften Gewahrseins, der Achtsamkeit und Präsenz (Seinspraxis in und mit der Natur)

Als co-therapeutisches Verfahren kann die Naturtherapie – ähnlich wie Kunsttherapie, Bewegungstherapie u.a. - in ambulanten Praxen, psychosomatischen und psychiatrischen Kliniken begleitend und ergänzend zu den psychotherapeutischen/psychiatrischen Heilbehandlungen eingesetzt werden. Es wird empfohlen, bei der Ausübung der Naturtherapie in diesem Arbeitsfeld die Erlaubniserteilung gem.  § 1 HPG (Heilpraktikergesetz) zu erwerben.